Durchtrainierte Körper fast ohne einen Fettanteil finden sich vornehmlich in verschiedenen Leistungssportarten – und natürlich in der berühmt-berüchtigten „Muckibude“. Dass der Aufbau der Muskulatur aber auch für jeden Nichtsportler gesundheitliche Vorteile hat, war lange umstritten. Es scheint jetzt aber einen neuen Wissensstand zu geben.
©BenjaminKlacks/pixelio.deDie Heilkraft des MuskeltrainingsNoch immer haftet gezieltem Muskelaufbau der Ruf an, ein Hobby für Eitle zu sein. Doch in den vergangenen Jahren haben Mediziner mehr und mehr die Heilkraft des Muskeltrainings entdeckt: Es schützt nicht nur vor Rücken- und Gelenkschmerzen, sondern vor so unterschiedlichen Leiden wie Herzproblemen, Diabetes, Osteoporose, Alzheimer und Depression. Muskeln sind nicht die bloßen Zugmaschinen, als die sie lange angesehen wurden: Sie bilden regelrechte Apotheken im Körper, die heilende Stoffe in die Blutbahn aussenden.
Die „Myokine“ wurden entdeckt„Der Skelettmuskel ist ein Organ, das hormonähnliche Stoffe ausschüttet“, betont die dänische Medizinprofessorin Bente Pedersen. Sie entdeckte mit ihren Kollegen an der Universität Kopenhagen die geheimen Botenmoleküle, die sie vor neun Jahren „Myokine“ tauften. Seither boomt dieses Forschungsgebiet.
Wissenschaftler haben bereits Hunderte Proteine identifiziert, die unsere Kraftpakete ausschütten. Von einem guten Dutzend haben sie die Wirkweise auf Leber, Bauchspeicheldrüse, Knochen, Fettgewebe, Herz, Blutgefäße und eventuell Gehirn entschlüsselt. „Diese Botenstoffe sind der Grund dafür, dass Bewegung bei vielen Krankheiten hilft“, ist Pedersen überzeugt. Denn der Muskel sendet die Myokine dann aus, wenn er sich kontrahiert, also arbeitet. Je trainierter er ist, umso effektiver funktioniert er nicht nur als Zugmaschine, sondern auch als heilender Botschafter im Körper.
Interleukin-6 - das neue WunderheilmittelDas wohl wichtigste und am besten erforschte Myokin ist Interleukin-6 (IL-6). Es hilft entscheidend mit, dem krank machenden Einfluss des Bauchfetts entgegenzuwirken. Dieser tief sitzende Körperspeck produziert entzündungsfördernde Stoffe, unter anderem den berüchtigten Tumor-Nekrose-Faktor (TNF). Ein Übermaß an Fettgewebe führt zu einem Übermaß an TNF im Blut. Das wiederum fördert chronische Entzündungen, einen Hauptverursacher für Altersdiabetes und Arterienverkalkung mit all ihren Folgeerscheinungen: von Impotenz und Brustschmerz bis Herzinfarkt und Schlaganfall.
Der arbeitende Skelettmuskel hingegen setzt das Myokin IL-6 frei – je gestählter er ist, umso effektiver. Am Ende eines intensiven Trainings kann sich die IL-6-Menge im Blut verhundertfacht haben. Zahlreiche Studien ergaben, dass IL-6 & Co. wahre Wundermittel im körpereigenen Medizinschrank sind:
• IL-6 hemmt die Produktion des Signalstoffs TNF im Körper und fördert die Fettverbrennung. Es wirkt damit nicht nur Entzündungen entgegen, sondern auch den Speckdepots im Körper generell. „Wir nehmen an, dass Fett und Muskulatur wie Gegenspieler wirken“, resümiert Pedersen.
• Myokine hemmen das Wachstum von Tumorzellen in der weiblichen Brust, berichteten die dänischen Forscher vergangenes Jahr. Der genaue Signalweg liegt noch im Dunkeln, doch epidemiologische Studien sprechen eine klare Sprache: Regelmäßiger Sport senkt das Brust- und Darmkrebsrisiko um 25 bis 30 Prozent.
• Die Botenmoleküle IGF-1 und FGF-2 regen die Knochenneubildung an und wirken so Osteoporose entgegen.
• Die Bauchspeicheldrüse arbeitet unter IL-6-Einfluss besser.
• Der Muskel nimmt mehr Glukose auf und senkt so den Blutzuckerspiegel. Die Insulinresistenz sinkt, Diabetes wird bekämpft.
Muskeln verbrauchen viel Energie„Der Muskel ist die beste Fettverbrennungsmaschine im Körper“, sagt Norbert Maassen vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Hannover. Zwar setzt das Gehirn, bezogen auf das Gewicht, noch deutlich mehr Kalorien um, aber „die Muskulatur lässt sich ausbauen, die Hirnmenge selbst durch noch so viel Denken nicht“.
Sogar für Herz-Kreislauf geeignet„Früher hat man fast nur über Ausdauertraining als Gesundheitssport gesprochen“, berichtet Theodor Stemper, Professor für Sportwissenschaft an der Universität Wuppertal. „Heute lässt man auch viele Schwerkranke kontrollierten Muskelaufbau betreiben. Vor 20 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen“.
Roland Börck