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Elektroautos wurden noch vor 1,2 Jahren hoch gehandelt als die Zukunft des Automobilbaus. Doch die Realität sieht inzwischen so aus, dass Elektroautos Ladenhüter sind. Doch der japanische Professor Hiroshi Shimizu hat weder Hoffnung noch Humor verloren. Im kommenden Jahr will er seinen dritten Prototypen auf die Straße bringen. Der erste fuhr 370 km/h.
ScreenshotEin Visionär mit HumorGalgenhumor ist die letzte Waffe des Visionärs, bevor die Hoffnung stirbt. „Technikrevolutionen entwickeln sich sprunghaft“, warnt der japanische Elektroauto-Pionier Hiroshi Shimizu die Autoindustrie. Wenigstens ist sie es für Shimizu, den Entwickler des schnellsten Elektroautos der Welt. Seit Jahrzehnten hat der Professor der Keio-Universität Elektroauto nach Elektroauto entwickelt, um zu zeigen, dass sie fahren. 370 Kilometer pro Stunde schaffte achträdrige Stretch-Limousine Eliica bereits im Jahr 2004. Doch nun muss er mal wieder mit ansehen, wie sein Traum trotz des Engagements von Firmen wie Nissan und Renault nicht vom Fleck zu kommen scheint.
Der Verkauf von Elektroautos verläuft sehr schleppendToyota, mit seinem Hybridantrieb immerhin einer der Pioniere in elektrischer Mobilität, gibt seinem Stromer eQ mit auf den Weg, dass sie sich noch keine großen Verkäufe versprechen. Selbst Elektroautovorkämpfer Nissan musste seine Expansionspläne bremsen. Und in den Medien macht sich Ernüchterung breit. Nur Shimizu sitzt in einem Forschungszentrum in Kanagawa südlich von Tokio, lacht schelmisch und drückt aufs Gas.
„Ich lüge“„Seit 30 Jahren erzähle ich Lügen“, scherzt der ergraute Akademiker. „Seit 30 Jahren sage ich, dass in fünf Jahren das Elektroauto kommt.“ Doch Schluss damit! „Jetzt gebe ich offen zu: Das Elektroauto kann wieder scheitern, aber gleichzeitig standen die Chancen auch noch nie so gut, dass es sich durchsetzt.“
2015 soll er das Open-Source-Auto kommenDer Grund für seinen Optimismus wächst in der Garage des Forschungszentrums heran: ein Prototyp eines massenproduktionstauglichen Elektrorenners, gemeinsam finanziert und entwickelt von rund 30 Unternehmen aus aller Welt und mehreren Industriezweigen - von der Auto- bis zur Hausbauindustrie. Unter ihnen befinden sich sogar globale Riesen wie der Autozulieferer Denso. Shimizus Ziel ist ehrgeizig: 2015 soll das Modell in Serie gehen.
Shimizu hat inzwischen den Ruf eines industriefernen Spinners im Elfenbeinturm abgeschüttelt und wird in der Industrie immer ernster genommen. Denn der Renner ist keine Eintagsfliege, sondern bereits der dritte Prototyp von SIM-Drive, einem innovativen Start-up Shimizus zur Elektroautoentwicklung.
Jeder Partner zahlt mindestens 20 Millionen Yen, kann Mitarbeiter und Technik entsenden und dafür wie bei einem Open-Source-Software-Projekt das Auto als Entwicklungsplattform für seine Techniken verwenden. Die Ausschreibung für das vierte Modell läuft bereits. Die Idee zum Open-Source-Auto kam Shimizu aus purem Frust. Weil seine Predigten von der Machbarkeit der Stromer in der Autoindustrie auf taube Ohren stießen, gründete er 2009 SIM-Drive. Der Name ist dabei Programm. SIM-Drive steht für „Shimizu In-wheel-Motor-Drive“ (Shimizus Radnabenmotoren-Antrieb). Schließlich sind Radnabenmotoren, seit Jahrzehnten der noch unerfüllte Traum von Autodesignern, stehen im Zentrum der Modelle – und Shimizu ist weltweit einer ihrer Pioniere.
Es wird entweder schnell – oder kleinZu den Einwänden seiner Entwicklung sagt Shimizu: „In Industrieländern sind die Straßen asphaltiert, unabhängige Federung ist verbreitet. Und bei hohem Tempo sind die schweren Räder sogar von Vorteil“, verteidigt er seine Technik. Das Problem seien vielmehr die konservativen Autobauer selbst. „Die Autohersteller wollen sich nicht von selbst ändern, sondern ihre Verbrennungsmotoren behalten.“
Elektroautos (besonders mit Radnabenmotoren) gefährden das Geschäftsmodell der Benzinschlucker, weil Autos plötzlich ähnlich einfach wie andere elektrische Produkte hergestellt werden können. Was, wenn die Autoindustrie plötzlich einen Steve Jobs hervorbringt, der einfach das Auto neu erfindet? Dann könnte es vielen Autoherstellern gehen wie Nokia oder Sony bei Smartphones, die verzweifelt um den Anschluss kämpfen, warnt Shimizu. „Die Autoindustrie schreibt ihre Planung immer linear fort, aber die Technikgeschichte lehrt uns, dass Revolutionen sich sprunghaft vollziehen“, referiert der Professor.
Roland Börck